Warum ist der “Friedenswinter” so aufschlussreich?
Als Landesvorstand muss man sich mit einer ganzen Reihe von Fragestellungen beschäftigen. Kurz nach unserer Wahl auf der #LMVBE141 wurden wir mit der Aktion Friedenswinter (friedenswinter.de) konfrontiert und der Frage, wie wir uns dazu verhalten sollten. Für mich ist der Zustand der Friedensbewegung dabei persönlich auch schon länger ein Thema, denn das “Kapern” ganzer Policy-Felder durch (neu-)rechte Bewegungen verläuft immer mehr strategisch und kann vor der Folie von PEGIDA, AfD, “besorgten Bürger*innen” und Co auch im Fall Friedenswinter/Mahnwachen als Paradebeispiel für die versuchte Herstellung von Salonfähigkeit des sekundären (und primären) Antisemitismus gelten.
Zustandsbeschreibung
Der aktuelle Zustand ist stark geprägt durch die stärker werdende “Neue Friedensbewegung”, die sich vor allem in den deutschlandweit stattfinden Mahnwachen ausprägt. Dass das Streben nach Frieden an sich ein absolut legitimes und wichtiges Anliegen ist, setze ich mal voraus. Allerdings existiert ist im Bereich “Frieden” ein riesiges Spannungsfeld im Streit über die verschiedenen Herangehensweisen und zieht gleichzeitig die schrägsten Typen an. Und so ist ein gehöriger, wohl allzu wesentlicher Teil dieser Montagsmahnwachen, die in diesem Jahr für einige Aufmerksamkeit gesorgt haben, von Chemtrail-Esoterikern, Reichsbürgern und anderen merkbefreiten Verschwörungstheoretikern und Antisemiten durchsetzt.
Neue ‘Allianz’
Nach den Montagsmahnwachen erfolgt nun der Schulterschluss mit Teilen der etablierten bzw. alten Friedensbewegung. Für mich sind an einem Schulterschluss zwischen Mahnwachen und traditioneller Friedensbewegung mehrere Punkte problematisch. Dazu gehören bestimmte Personen, aber auch inhaltliche Prämissen des Bündnisses. Diese will ich hier kurz erläutern.
Zum einen ist da Ken Jebsen mit seinen Supportern – abgesehen davon dass verschiedene Vorwürfe im Raum stehen (Belege s.u.), die bereits lang und breit diskutiert worden sind, sehe ich Ken Jebsen als manipulativen Agitator. Er erzeugt allein durch seine Reden und Videos ein Stimmungsgemisch aus “die da oben”, “wir werden von irgendwem gesteuert” und “das wird man wohl noch sagen dürfen”. Stammtisch galore. Hier arbeitet er mit monokausalen Ansätzen, die ich nicht an vorderster Front einer jeglichen Debatte sehen möchte. Denn kurzfristig kann so eine Stimmung erzeugt werden, die zwar in eine theoretisch wünschenswerte Richtung (Frieden, Globalisierungskritik, Herrschaftsverhältnisse aufzeigen) gehen mag, langfristiges aktivistisches oder gar politisches Arbeiten generell aber erschweren wird bzw. unmöglich macht. Gleichzeitig werden alle, die sich aus verschiedensten Gründen kritisch mit dieser Bewegung auseinandersetzen, mit dem Vorwurf konfrontiert, eine Gruppe von “kriegstreiberischer Mainstreammedien-Geheimdienst-Propaganda gesteuerter Antifriedensaktivist*innen” zu sein – völlig widersinnig, aber oft gelesen. Das gilt auch für Pressebashing aus der gleichen Richtung (die taz ist hier ein beliebtes Ziel).
Zu Ken Jebsen
Dankenswerterweise hat @FriedensWatch mich auf einige Beiträge zum Thema “sekundärer Antisemitismus des Ken Jebsen” hingewiesen, diese möchte ich Euch nicht vorenthalten:
Aufbereitung auf schwarzerschmetterling.org
Hier ein recht detailierter Facebook-Eintrag, der auch aufzeigt in welch widerwärtiger Gesellschaft sich Ken befindet: facebook/friedensdemowatch
Andere Akteure
An diese erste Problematik schließt sich zum Beispiel der Kontakt mit Pedram Shahyar an. Wer Pedram nicht kennt, mag sich vielleicht hier: pedram-shahyar.org und hier: Facebook Rebellunion/Pedrams Kanal die Eigendarstellung seiner Aktivitäten zu Gemüte führen, und hier wolkenschieberin.wordpress.com/pedram ein Dossier über ihn von anderer Stelle lesen.
Pedram agiert wohl als Vernetzer und Initiator zwischen Mahnwachen und dem Friedenswinter-Bündnis, und will über persönliche Kontakte auch andere reichweitenrelevante Gruppen mit in das Bündnis holen. Was deutlich ist: Pedram ist sehr eng mit Ken Jebsen assoziiert, daraus wird kein Hehl gemacht. Für mich ist nach den Erkenntnissen die ich habe klar – den möchte ich nicht unbedingt als Bündnispartner.
Aktiver Antifaschismus
Um Unterstützende für den “Friedenswinter” zu gewinnen, der mit einer großen Auftakt-Demonstration am 13.12. aufwarten will, wird klargestellt, wie sehr sich dieser neue Zusammenschluss bemüht, Idioten kein Forum zu geben. Gleichzeitig wird aber auch betont, dass es in einem offenen Koordinierungskreis, der eben “allen” offensteht, keine Möglichkeit gäbe, bestimmte unerwünschte Gestalten loszuwerden. Das ist für mich keine Rechtfertigung für irgendwas, sondern ein in Kauf genommener ‘fail by design’, den viele neue Bewegungen hingelegt haben – so auch die Piratenpartei. Daraus könnte man lernen – man muss es eben nur wollen.
Zwar kann sich viel von Faschismus und Antisemitismus distanziert werden – dafür reicht es allerdings nicht wohlklingende Erklärungen abzugeben pedram-shahyar.org/weitersroda und Reden zu schwingen. Ein aktiver Ausschluss von Menschen, die mit Verschwörungstheoretiker*innen und anderen (rechten oder wahlweise hasserfüllten) Arschnasen tagtäglich zusammenarbeiten, ist nötig, um jeglicher Friedensbewegung Legitimation zu verleihen. Spätestens, wenn sie mehr als ein-, zweitausend Demo-Teilnehmende mobilisieren will. Kein Mensch kann gleichzeitig glaubwürdig nach Frieden rufen und gleichzeitig Menschen ein Forum bieten, die die Vernichtung Israels fordern.
Die “Sozialistische Linke” sieht das übrigens anders, ihr reichen die Beteuerungen die, “politisch richtig und eindeutig formuliert” seien: sozialistische-linke.de
Israel-Hass ≠ Frieden
Damit kommen wir zum zweiten und wichtigeren Problem. Klar israelfeindliche Bundestagsabgeordnete der Linken, die sich innerhalb ihrer eigenen Fraktion deutlich isolieren, sind Teil des “Friedenswinters”.
Als Strippenzieher von Aktionen wie der Jagd auf Gregor Gysi im Bundestag oder der Beteiligung an der mit Hass durchsetzten Mavi Marmara-Flotille, bzw. dem Free Gaza Movement (lest hierzu de.wikipedia.org/wiki/Free_Gaza_Movement#Kritik) bis hin zu definitiv nicht zielführenden Äußerungen im Duktus einer Evelyn Hecht-Galinski (übrigens auch eine der Unterzeichner*innen) machen diese Presse und disqualifizieren sich für eine sachorientierte Herangehensweise an den Nahostkonflikt.
Die Unterzeichnenden für die erste Demonstration der Aktion Friedenswinter seht ihr übrigens hier: Aufruf Demo 13.12.
Unreflektierter Pazifismus
Wenn das noch nicht reicht: Dass an der türkisch-syrischen Grenze in Kobanê und anderswo Menschen abgeschlachtet werden, lässt sich nicht mit ein paar Hundert Demonstrierenden ändern, die für den Weltfrieden vor Schloss Bellevue stehen. Unpolitische Nicht-Positionierung, um nirgendwo “so richtig” anzuecken, können wir uns sparen.
Nettigkeiten
Der Fairness halber will ich sagen, dass sicher auch durchaus emanzipatorische Menschen den Aufruf unterschrieben haben. Die Absichten mögen bei vielen der Unterzeichnenden gut sein, nur müssen sie sich leider wieder die Frage gefallen lassen, warum mit deligitimierenden Akteuren zusammengearbeitet wird.
Und jetzt können wir dann wohl damit beginnen auf den Friedensfrühling zu warten.
Nachtrag:
Grad noch eben grad gefunden: Distanzierung des VVN-BdA vom Friedenswinter:
Statement VVN-BdA
Zur Entscheidungsfindung unter den Mitgliedern der Piratenpartei Berlin habe ich eine Liquid-Initiative erstellt: lqpp.de/be/initiative/show/3036
Der Beitrag spiegelt meine persönliche Meinung wider.